Gerne kümmert sich Renate Fink um die vielfältige Tierwelt in St. Bernardin. Worüber sich Hans-Dieter Kitzerow (Mitte) und Thomas Wilmsen freuen.
Wo das Paradies ist? Renate Fink weiß es, denn sie wohnt dort schon seit
54 Jahren. Verlassen will die 61jährige es verständlicherweise nicht. Ihr
Paradies entspricht nicht den landläufigen Vorstellungen, vielleicht auch
nicht unseren und schon gar nicht denen der Politik. St. Bernardin ist
ein wuchtiges altes Backsteingebäude, ursprünglich ein Kloster, neben
dem kleinen Sonsbecker Ortsteil Hamb am Niederrhein. Eine große
„Komplex-Einrichtung“ in der Fachsprache und damit aus den Zeiten
der Inklusion gefallen.
Aber für Renate Fink und 149 ihrer Mitbewohner ist es das Zuhause, der
sichere Rahmen für ihr Leben. Mit sieben Jahren ist sie hier eingezogen,
hat Jahrzehnte in der Wäscherei auf dem Gelände gearbeitet und genießt
jetzt den Ruhestand mit ihrem Hund und all den anderen Tieren, die zu
versorgen sind.
Inklusion, so wie wir sie heute verstehen, scheint das noch nicht zu sein.
Faktisch aber schon, denn sie ist zufrieden in dieser Gemeinschaft, spielt
mit Hamber Bürgern, die sie in der Schwimmgruppe kennengelernt hat,
regelmäßig Mau-Mau, schaut schon mal in Schule und Kita vorbei, fährt
in den Urlaub… „Es ist ein Lernprozess zu akzeptieren, dass der Wille
eines Menschen mit Behinderung möglicherweise nicht den eigenen
Vorstellungen entspricht“, sagt Hans-Dieter Kitzerow, der die Einrichtung
leitet und mit dem Renate Fink mittags gemeinsam isst.
Das neue Bundesteilhabegesetz, dass im Wesentlichen ab 2020 umgesetzt
wird, will mehr Selbständigkeit. Ein eigener Mietvertrag für das
bewohnte Zimmer, selbständige Entscheidungen über Pflegedienst und
Arbeitsplatz. Das ist für Kitzerow sicherlich ein guter Ansatz für viele
Menschen mit Einschränkungen, nicht aber unbedingt für die in Behinderteneinrichtungen
lebenden mit schweren körperlichen und geistigen
Beeinträchtigungen. Ihre Zahl ist vergleichsweise gering, wenige hunderttausend
von insgesamt sieben Millionen bundesweit.
Für sie können die Bemühungen um Inklusion anstrengend werden. Da
müsste es aus Sicht von Thomas Wilmsen, der den Sozialdienst in St.
Bernardin leitet, vor allem darum gehen, Wahlmöglichkeiten zu schaffen.
Also nicht aus ideologischen Überlegungen alle großen Einrichtungen
abschaffen zu wollen, sondern die behinderten Menschen tatsächlich
selbst entscheiden zu lassen, wie sie leben möchten. „Es wird viel zu
wenig darauf geschaut, ob sie zufrieden sind“, sagt Wilmsen.
Sie können, wie Renate Fink, ihren eigenen Weg finden, wenn die
Behindertenhilfe sich weiter entwickelt und neue Möglichkeiten bietet.
Fink erinnert sich gut, wie sie zum ersten Mal fünf Mark selbst in der
Hand hielt. In den Ort zu gehen, selbst einzukaufen, ist heute selbstverständlich.
„Nach und nach habe ich mehr Mut bekommen“, erklärt sie.
Aber das gehe nur in kleinen Schritten.